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Cycle Shadows
"A human being is only breath and shadow." (Sophocles)
Zyklus Shadows
"Nicht mehr ist der Mensch als Atem und Schatten." (Sophokles)
Auch in Shadows widmet sich Anna Grau dem Mysterium der weiblichen Archetypen, das mittlerweile als das Leitmotiv ihres
künstlerischen Schaffens bezeichnet werden kann. Shadows stellt jedoch insofern eine konzeptionelle Weiterentwicklung dar, als dass die Darstellung der Frau nicht - so wie beispielsweise noch im Lilith-Zyklus - die zentrale Rolle im Bild einnimmt, sondern vielmehr in eine
großangelegte Komposition eingebunden ist.
Zunächst fällt auf, dass jedes Bild einer strengen Zweiteilung unterworfen ist. Der Hintergrund ist stets menschenleer, im
Vordergrund immer eine leicht stilisierte, schwarz gekleidete Frauengestalt zu sehen. Es sind diese Komponenten, mittels derer der magische
Symbolismus von Anna Grau seine Intensität entfaltet: Der sich in jedem Bild widerspiegelnde feminine Aspekt - am markantesten
versinnbildlicht durch die Frau - geht eine Symbiose mit der sie umgebenden Natur ein, wobei die Frau in ihrer Sinnlichkeit aus den Schatten ihrer Umgebung heraustritt. Sie materialisiert sich geradezu vor dem Auge des Betrachters, zieht ihn in diesen Naturraum,
ihre Welt, hinein, sei es als Künderin eines nahenden Unwetters, als Brandstifterin oder aber als Nymphe im Nebelwald.
In dieser Hinsicht kommt den auf die Leinwand gebrachten Landschaften eine besondere Bedeutung zu. Ganz allgemein verkörpert
die Natur in ihrer ungezähmten, wilden Form, aber auch in ihren Dämmerzuständen für viele seit jeher das Unbegreifliche, das Unkontrollierbare, etwas, vor dem sie ein Gefühl des Ausgeliefertseins und somit eine mehr oder weniger ausgeprägte Furcht empfinden.
Gleichzeitig wissen wir, dass wir zu unserer
inneren Natur, unserem Unterbewusstsein, oft nur einen sehr geringen, nicht selten gar keinen direkten Zugang haben. All das
liegt, um einen Ausdruck C.G. Jungs zu verwenden, im Schatten verborgen. Mehr noch, in vielen alten Kulturen galt der Schatten, den jeder Mensch wirft, als jener Teil seiner Seele, der, da er sich außerhalb des Körpers befand, eines besonderen Schutzes bedurfte.
Nun wird deutlich, weshalb das Schattenmotiv als das bestimmende Element in Anna Graus Shadows-Zyklus aufgefasst werden muss.
Die äußere, den Bildhintergrund ausfüllende Natur ist die Projektionsfläche der inneren Natur, die vor allem im Gesichtsausdruck der Frau im Bildvordergrund zum Ausdruck kommt. Äußere wie innere Natur sind subtil verbunden; sie ergänzen einander, sind voneinander
abhängig.
Ronald Zieger (»Unfathom«, Kunstbuch, 2015)